
MYNA
In einem Land, in dem der Tag nur noch schwach nachklingt und die Nächte vom dichten, schwarzen Nebel beherrscht werden, liegt der Wald Kage no Mori. Das wenige Licht, das den Boden erreicht, wird von einem dichten Blätterdach verschluckt. Niemand begibt sich freiwillig in diesen Wald hinein.
Die Dorfbewohner berichten von leisen Stimmen und unruhigen Schatten, die sich im Dunkeln bewegen. Alle fürchten den Wald, doch vor allem fürchten sie das, was in ihm lauert: Myna.
Manche munkeln, Myna sei unter einem blutroten Vollmond geboren worden. Sie sei eine Erscheinung, die nicht zufällig auftaucht. Ihre Augen, so heißt es, sind alles andere als normal. Sie sollen wie feste, unbewegliche Beobachter wirken, die dich in jedem Moment verfolgen. Es fühlt sich an, als ob sie deine Gedanken durchdringen und deine Ängste aufdecken, und es scheint, als würden sie dich nie loslassen.
Andere behaupten, Myna gehöre zu einer Zeit, als die Grenze zwischen den Lebenden und den Geistern noch dünn war. Sie sei älter als die knorrigen Zedern des Kage no Mori, ein Relikt längst vergangener Rituale und blutiger Racheakte. Es heißt, dass ihre Präsenz immer dann spürbar wird, wenn sich Spinnweben an den Ruinen alter Torii nähe des Waldes bilden, was als stilles, unheilvolles Zeichen gilt, das an dunkle Zeiten erinnert.
Vielleicht gilt Myna als Aberglaube, vielleicht birgt der Fluss der Zeit Geheimnisse, die über das Bekannte hinausgehen.